Textauszug aus dem Buch: „Das Erbe der Kriegsenkel…“

Vor einiger Zeit habe ich mir in der Bibliothek das Buch „Das Erbe der Kriegsenkel – Was das Schweigen der Eltern mit uns macht“ von Matthias Lohre ausgeliehen und mit großem Interesse gelesen. Der Autor beschreibt darin seine eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse zu seiner persönlichen Familiengeschichte. Auch ich persönlich bin der Meinung – je länger ich mich mit mir und meiner psychischen Heilung auseinandersetze, dass viele Prägungen, Denkmuster und Verhaltensweisen unbewusst von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Gerade die Generation, die im Krieg geboren wurde und dadurch noch direkten Kontakt mit dessen Wirkungen und Auswirkungen hatte, hat vieles nicht verarbeitet und in vielen Fällen nie über die eigene Erziehung, die eigenen Erlebnisse und die eigenen Erinnerungen gesprochen. Auch ich habe dies bei meinen Großeltern so erlebt. Leider wurde dieses Schweigen und dieses sich nicht mit sich selbst und seiner Geschichte auseinandersetzen wollen dadurch ungewollt auch an die Kinder – in meinem Fall meine Eltern – weitergegeben. Auch hier herrscht blankes Unwissen und teilweise auch totale Verweigerung was das Berichten und Nachdenken über die eigenen Kindheit und die eigenen Eltern und Großeltern angeht.

Ein kleines Beispiel ist der Umgang mit dem Schlagen von Kindern. Für meine Eltern war mal eine Ohrfeige, ein Schlag auf die Hand oder den Po keine Gewalt, kein Schlagen, kein Verbrechen. „Dass einem mal die Hand ausrutscht.“ – war normal und keineswegs schlagen. Nichts wofür man sich entschuldigen oder gar schämen müsste. Schließlich hatte man selbst als Kind noch „richtige“ Prügel erhalten mit dem berühmten Gürtel oder Teppichklopfer, da ist so ein „Klapps“ auf den Po doch quasi nichts. Und dann kommt die eigentliche Selbsttäuschung zum Ausdruck: „Und uns hat es schließlich auch nicht geschadet.“ Diese Aussage halte ich für einen Irrglauben. Wenn ein Erwachsener gegen ein Kleinkind auch nur die geringste Form von Gewalt verwendet, dann geht in der Seele dieses Kindes etwas zu Bruch. Sieht man dies nicht bzw. möchte dies nicht wahrhaben, sondern macht einfach so weiter, wie man es selbst erlebt hat, dann wird der Schaden dauerhaft und hat durchaus auch weitreichende Konsequenzen für das betroffene Kind und dessen Verhältnis zu der eigentlichen Vertrauensperson.

Im angesprochenen Buch hat mich ein Abschnitt besonders berührt. Diesen möchte ich an dieser Stelle kurz wörtlich wiedergeben. Vielleicht gibt er dem ein oder anderen einen kleinen Gedankenimpuls.

Kriegskinder sind nach Kräften bemüht, ihren Töchtern und Söhnen gute Eltern zu sein und sie zu schützen. Richtig ist aber auch: Mütter und Väter können für ihre Kinder das Beste gewollt und ihnen dennoch geschadet haben- Für die eigene Erinngerung kommt es weniger darauf an, wie die Eltern etwas gemeint haben, und umso mehr, wie man selbst es wahrgenommen hat.

 

 

Wut und Schmerz haben viel gemeinsam. Beides sind im Kern Warnsignale, Aufforderungen zur Veränderung. Deshalb will ich sie nicht länger wegdrücken, sondern endlich zulassen und genau spüren, was dabei in mir auftaucht. Die Wunden der Kriegsenkel wurden in ihrer Kindheit geschlagen. Um die Verletzungen frei zu legen und die Schmerzen zu spüren, die sie bereiten, muss ich mich daran erinnern, wie ich als Kind empfand. Das fällt mir – wie vielen Kriegsenkeln – schwer, denn die Erinnerungen liegen im dichten Nebel. Aber er lässt sich durchdringen.

 

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