Meine Gedanken zur Buchlektüre von „Stärker als Borderline“

Im Sommer habe ich mir etwas Zeit genommen und das Buch „Stärker als Borderline: Wie Du mit DBT dein Gefühlschaos kontrollieren kannst“ (von Debbie Corso, Karin Beifuss) gelesen. Bei der Recherche nach einem Buch zu Borderline, welches ich eventuell im Selbststudium bearbeiten und mir dadurch die Suche nach eine*r geeigneten Therapeut*In verkürzen kann, bin ich zufällig auf dieses Buch gestoßen. Debbie Corso hat selbst eine Borderline Persönlichkeitsstörung und durch Therapie und die Arbeit mit DBT (= Dialektisch-Behaviorale Therapie) an dieser gearbeitet. Inzwischen gibt sie selbst Coachings und Kurse. Da ich selbst weiterhin keinen passenden Therapieplatz gefunden habe und mir bei der Suche jemand DBT empfohlen hat, habe ich mir das Buch gekauft und gelesen.

Insgesamt kann ich sagen, dass mich das Buch nicht überzeugt hat. Dies liegt sicherlich vor allem auch daran, dass ich feststellen musste, dass ich einiges bereits aus vergangenen Therapien, etc. kenne. Schon damals haben mich diese Ansätze nicht angesprochen bzw. erreicht. Daher habe ich dieses Buch zwar bis zum Ende gelesen, aber mit großem Wiederwillen. Mein Schluss ist, dass DBT in der geschilderten Form nicht für mich in Frage kommt. Diese Erkenntnis hat nun insofern einen Vorteil, da ich nun für mich weiß, dass ich keinen Therapieplatz möchte, in dem diese Therapieform (diese ist Teil der Verhaltenstherapie) bestimmendes Moment ist.

Dennoch bin ich in diesem Buch auf einige Stellen gestoßen, die mich zum Nachdenken angeregt haben. Sei es indem mich diese persönlich angesprochen haben oder indem sie mir Impulse zu weiteren Überlegungen gegeben haben. Diese Auszüge möchte ich an dieser Stelle kurz zitieren und dann meine Gedanken dazu formulieren. Vielleicht helfen diesem Jemandem auf dem eigenen Weg zu einem Leben mit Borderline.

„Angesichts der Unmittelbarkeit des täglichen Lebens fällt es schwer, immer sofort zu reagieren, ohne die Nerven oder, schlimmer noch, seine Selbstachtung zu verlieren.“ (Seite 9 – Kindle-Version) Dieser Aussage stimme ich zu. Oft merke ich gar nicht, dass das ein Fehler ist, weil mich die Emotion und Reaktion quasi sofort überkommt. Das ist seit einigen Jahren so, weil manche Situationen in mir so starke Gefühle auslösen, dass diese sich direkt Bahn brechen müssen. Ich kann dies nicht wirklich steuern, weil es so schnell passiert, dass ich keinen Einfluss habe. Erst im Nachgang – wenn die Erregung abgeklungen oder wenigstens etwas zurückgegangen ist – merke ich, dass ich besser erstmal mit einer Reaktion/Antwort gewartet hätte. Manches Mal wäre das Ergebnis dann eventuell positiver für mich ausgefallen.

„Die Triebkraft hinter all meinen Entscheidungen waren meine „Zwillingsängste“: Angst vor Ablehnung und Angst vor dem Verlassenwerden.“ (Seite 15) Witzigerweise kann ich für mich auch genau zwei Ängste benennen, die mein Leben maßgeblich bestimmen. Das eine ist die Angst vor Einsamkeit und die andere die Angst vor Verarmung. Daraus folgen sicherlich noch weitere Ängste, aber der Ursprung aller Qualen sind diese beiden Basisängste.

„Wir haben Angst davor, abgelehnt und verlassen zu werden. Und wir wollen, dass jemand anderes uns rettet. Wir trauen uns nicht zu oder vertrauen nicht unserer Kraft, uns selbst zu retten.“ (Seite 15) Hier stimme ich nur teilweise zu. Oft wünsche ich mir, dass jemand für mich Probleme löst, weil ich das Gefühl habe, das jetzt nicht auch noch zu schaffen. Das ist richtig. Allerdings ist es nicht so, dass ich nicht auf meine eigene Kraft vertraue. Ich weiß, dass nur ich selbst mich „retten“ kann, aber an manchen Tagen und in manchen Situationen ist es einfacher und bequemer unangenehme Dinge von anderen Menschen regeln zu lassen. Hilfreich ist es sicherlich nicht.

„Meine Art von Selbstfürsorge sah so aus, dass ich nach jemand anderem Ausschau hielt, der die Dinge für mich wieder in Ordnung brachte. Ich war abhängig und bedürftig.“ (Seite 15) Viele Jahre habe ich krampfhaft nach Männern gesucht, um mich nicht meiner Angst stellen zu müssen. Glücklich hat mich das nicht gemacht. Daran muss ich nun unter anderem arbeiten.

„Die Tatsache, dass ich kein klares Bild von mir selbst hatte, sondern mir wie ein gestaltwandlerisches Chamäleon vorkam… Dies wird, so lernte ich später, als Identitätsstörung bezeichnet und zählt zu den Diagnosekriterien einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.“ / „Ich wurde wie die Menschen in meiner Umgebung, passte mich ihren Verhaltensweisen an und wurde zu dem Menschen, den sie meiner Meinung nach in mir sehen wollten. All das nur, um gemocht, akzeptiert und nicht abgelehnt zu werden.“ (S.22) Ich erinnere mich nicht an meine Kindheit. Sicher weiß ich jedoch, dass ich im Rahmen meiner Pubertät (ab ca. 5. Klasse) damit angefangen habe, das gut zu finden, was die Mehrheit auch gut fand. Es hat sich nämlich gezeigt, dass man dann besser in Kontakt mit den „coolen“ Klassenkamerad*Innen kommt, leichter Freund*Innen findet und weniger aneckt. Dieses Verhalten habe ich bis heute beibehalten. Wenn ich jemanden kennenlerne, dann versuche ich zu erahnen, was dieser mögen könnte und verhalte mich dann entsprechend bzw. wähle exakt dessen Interessensgebiete als Gesprächsthemen… Diese Verhaltensweise hat einen Nachteil. Man verliert sich selbst und vergisst wer man eigentlich ist. Sich nun im späteren Erwachsenenalter (recht kurz vor der zweiten Lebenshälfte) damit auseinandersetzen zu „müssen“, wer man eigentlich ist, stellt eine riesige Herausforderung da.

the word thoughts on a pin board

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„Ich war immer ein emotional empfindsamer Mensch, und das wird sich auch nicht ändern.“ (Seite 23) Nach meiner Erfahrung sind sehr viele Menschen mit mentalen Problemen sehr sensibel. Von mir selbst weiß ich, dass ich als Kind sehr schüchtern und zurückhaltend war. Bis heute nehme ich mir viel zu viele Dinge zu Herzen und kann nicht einfach darüber stehen. Man merkt mir das heute zwar nicht mehr an, aber die Verletzlichkeit und Empfindsamkeit sind geblieben.

Die Autorin nennt außerdem vier Hauptmodule der SBT-Skills. Diese sind ziemlich aussagekräftig und daher für mich an dieser Stelle erwähnenswert:

  • Dem eigenen Leben (ganz bewusst) mehr Beachtung schenken.
  • Besser mit Stress umgehen lernen (von „Ich werde damit nicht fertig!“ hin zu „Ich komme damit klar!“).
  • Gefühle steuern lernen.
  • An wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen arbeiten. (Seite 25)

Dies sind für mich wichtige Lernfelder, denen ich mich nach uns nach widmen möchte und muss. Allerdings nicht im Rahmen von DBT.

„In die Vergangenheit oder Zukunft gerichtete Gedanken rauben einem unweigerlich Freude und schaffen Distanz zwischen dem Selbst und dem gegenwärtigen Erleben. Ein Aspekt von Achtsamkeit ist es, zu merken, sobald die Gedanken fortwandern.“ (Seite 34) Hierzu gibt es nichts weiter zu sagen. Das ist die Hauptaufgabe, wenn man an seiner Achtsamkeit arbeitet.

„Und alles beginnt mit der Erkenntnis, dass Schmerz und Leid keineswegs dasselbe ist.“ (Seite 35) Hierzu gibt es ein buddhistisches Sprichwort welches besagt: ‚Scherz ist unvermeidlich. Leiden ist freiwillig.‘ Für mich ist das ein wichtiges Zitat und eine wichtige neue Erkenntnis. Klar darf bspw. eine Beleidigung mich schmerzen, aber ob ich unter dieser lange Zeit leid, das bestimme ich selbst.

„Wir alle haben einen inneren Richter und eine innere Jury, und leider können wir uns dieser Art von Gerichtsbarkeit nicht entziehen.“ (Seite 54) Genau wie das innere Kind ist auch dies ein spannender Ansatz mit dem sich gut arbeiten lässt. Dieser entstammt der Verhaltenstherapie und es gibt dazu sehr hilfreiche Literatur (s. meine Literaturempfehlungen).

„Wenn wir schon anderen Menschen sehr hohe Standards auferlegen, dann neigen wir meist dazu, noch höhere Erwartungen an uns selbst zu richten.“ (Seite 55) „Im Prinzip fällen wir den ganzen Tag Urteile, und vieles davon wurzelt in den schmerzlichen Erfahrungen vergangener Zeiten.“ (Seite 57) Ich bin was mich selbst betrifft sehr perfektionistisch eingestellt und ich erwarte auch viel von anderen. Vielleicht manchmal zu viel. „Wenn ihr das Wort „sollte“ lest, hört oder aussprecht, wisst ihr, dass es sich dabei um ein Urteil handelt.“ (Seite 60) Das würde ich nicht so unterschreiben. Da gibt es sicherlich noch viel mehr Worte, die dies anzeigen. Vermutlich hilft eher, wenn man sich selbst und die eigenen Kommunikation und Denkweise regelmäßig hinterfragt.

„Paradox … ist, dass wir unsere Lage nur ändern können, indem wir bereit sind, eine Situation erst einmal so hinzunehmen, wie sie eben ist.“ (Seite 69) „Zu akzeptieren, dass wir in unserer Vergangenheit ein Trauma erlebt haben, das auch heute noch Auswirkungen auf uns hat, bedeutet nicht, dass wir denjenigen, der uns verletzt hat, von seiner Schuld freisprechen. (Seite 70) Dieses akzeptieren einer Situation bzw. eines persönlichen Hintergrunds ist die größte Herausforderung. Aber nur so kann man – meinem Gefühl nach – mit der Zeit heilen und inneren Frieden schließen / finden.

„Das Ziel ist es, einen Weg zu finden, wie ihr eure Reaktion dann in den Griff bekommt, um unnötiges Leid zu vermeiden und den jeweiligen Moment aushalten zu können.“ (Seite 77) „Denn dieser Moment geht vorbei. Ihr müsst ihn nur unbeschadet überstehen.“ (Seite 78) Ich möchte lernen „in genau diesem Augenblick zu bleiben und ihn durchzustehen, anstatt in der beängstigenden Szene, die sich in unserem Kopf abspielt und die sich darum dreht, was noch alles schiefgehen könnte.“ (Seite 82) Es gibt kaum etwas, das schlimmer ist, als der innere Gedankenkreisel, der sich immer schneller dreht. Diese Gedanken machen mich manchmal ‚verrückt‘.

Hoffnung gibt mir der Satz von Seite 84: “ Es ist niemals zu spät, um zu lernen, wie wir uns wirkungsvoll von unserem emotionalen Schmerz ablenken können.“ Vielleicht heile ich nicht mehr zu 100%, aber das Leben wird leichter, je mehr ich an mir selbst arbeite. Wichtig ist, dass man die richtigen Methoden lernt und die passenden Denkanstöße erhält. Dazu ist ein GUTER Therapeut / eine GUTE Therapeutin unverzichtbar. Leider ist es nicht einfach so jemanden zu finden. „Emotionalen Stress zu erleben und auszuhalten fühlt sich nicht nach etwas Machbarem an, wenn man nicht über die dafür nötigen Bewältigungsfertigkeiten verfügt.“ (Seite 86)

Die folgenden Zitate sprechen für sich alleine, daher kommentiere ich diese nicht. Sie entsprechen 100% meinen eigenen Gedanken und Empfindungen:

Wir haben immer die Wahl, ob oder wie wir auf einen bestimmten Impuls reagieren, ganz gleich, wie stark er auch sein mag.“ (S. 130)

Wir wollen unser Leiden lindern und unser Leben genießen – mit weniger Drama und mehr Frieden.“ (S. 139)

Du fühlst dich wie ein Chamäleon, wie ein Gestaltwandler, der sich in verschiedenen sozialen Situationen bestmöglich anpassen kann, um anderen zu gefallen, um geliebt und akzeptiert zu werden. Nicht zu wissen, wer man ist und was man will, ruft ein tiefes Gefühl von innerer Leere hervor.“ „Es führt zu Angst vor dem Alleinsein, weil du nicht weißt, wer du bist.“ (S. 161)

Dadurch, dass ich mein Verhalten, meine Gedanken und Gefühle an die Menschen in meinem Umfeld anpasste, konnte ich überleben und mich in der Welt zurechtfinden. Das alles funktioniert perfekt, bis dieses fehlende Ich-Gefühl anfing, mich völlig zu verunsichern.“ (S. 163)

Hört auf euren Wunsch, ganz ihr selbst zu sein. Euer eigenes Ich.“ (S.172)

 

Wer Interesse an DBT hat findet in diesem Buch sicherlich hilfreiche Ansätze zum Üben.

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